Es gab etwas Neues: Peter Zimmermann erstieg den Dachboden des Löpitzer Schlosses und spielte auf dem Waldhorn weihnachtliche Klänge aus dem geöffneten Fenster der mittleren Gaube über den Schlossplatz. Die unten versammelten Besucher des Löpitzer Weihnachtsmarktes waren begeistert, wegen der Sensation und wegen des Wohlklangs. Zu später Stunde spielte er noch einmal. Ansonsten blieb alles gleich. Die Zipfelmützen hinter dem Glühwein, die im Nebenerwerb Dünger und Unkrautgift verkaufen, liebevolle Handarbeiten, Kaffee, Stollen, Schmalzstullen, das Programm der Kinder, Frido, Märchentante, Grillwurst, Feuerwehr und dann kommt der Weihnachtsmann. Alle Jahre wieder. Der Weihnachtsmann kommt.
Darauf kann man sich verlassen. Er wird angekündigt und kurz darauf schleppt er seinen olivgrünen Sack die Treppe hinauf, in den Schulungsraum der Feuerwehr. Trotzdem beginnt die einheimische Bevölkerung, ungeachtet ihres kulturellen und religiösen Hintergrundes, alljährlich eine Diskussion, ob es den Weihnachtsmann überhaupt gibt. Dabei kann ihn jeder sehen und anfassen. Ist irgendetwas an dem Mann vielleicht unecht: Stiefel, Mantel, Mütze Bart, Rouge, Alter, Würde, Sack? Alles echt. Die Geschenke stehen am nächsten Tag auch noch da, wenn sie nicht sofort aufgegessen wurden. Dieser Weihnachtsmann ist wahrhaftig, allerdings nicht selbstverständlich. Immerhin gibt es keine geschützte Berufsbezeichnung und jedermann kann sich im Supermarkt eine Maske kaufen, die eigenen Hausschlappen anlassen, dass selbst Dreijährige vom Glauben abfallen.
Der Luppenauer Weihnachtsmann ist so echt wie sein Sack, mehr noch, er hat Tradition und was für eine. Vor 50 Jahren, als der Weihnachtsmann noch bartlos und jung und auch noch kein Weihnachtsmann, sondern Maschinenbauer war, beschloss er in die Welt hinauszuziehen. Damals war für die meisten Menschen im Land die Welt relativ klein. Wenn man in die Große Weite Welt wollte, ging das am besten mit einem Schiff. So heuerte er bei der Deutschen Seereederei an und bekam bei der Erstausrüstung seinen Seesack. Auch nach dem Studium, als Schiffsingenieur, behielt er ihn. Er begleitete ihn nach Afrika, Asien, Russland, Schweden, England, Spanien, Libyen, nach Griechenland, um einige Ziele seiner Fahrten aufzuzählen. Schiffsingenieure, liebe Kinder, sind ganz wichtig an Bord. So eine „Motor“ kann schon mal 15 Meter hoch und 30 Meter lang sein. Wenn der nicht läuft, kann der Kapitän auch nichts machen. Kein Kakao, keine Schokolade, nichts im Sack vom Weihnachtsmann, wenn das Schiff nicht fährt. Aber mit einem C6-Patent, das für alle Weltmeere gilt, kann man dem Weihnachtsmann günstigstenfalls indirekt zuarbeiten, man ist noch keiner. Wer ein echter Weihnachtsmann werden will, muss sich auf die Reise nach Rovaniemi in Finnland machen. Dort lebt das Volk der Lappen. Am Polarkreis ist es im Winter so kalt, dass der hauptamtliche Weihnachtsmann nur in den Sommermonaten arbeitet. Hier wird alles gelehrt, was man als Weihnachtsmann wissen muss: Rentierzüchten, Rentierschlittenfahren, Stiefel, Mützen, Jacken und Hosen aus Rentierfell herstellen. Rentiere sind wichtig für den Weihnachtsmann im Norden, weil sie seinen Schlitten zu den weit entfernten Gehöften ziehen. In einer Werkstatt übt der Weihnachtsmannanwärter das Basteln der Geschenke. In den Geschäften gibt es alles, was einen Weihnachtsmann ausmacht. Wenn er dann verstanden hat, dass man Rentiere, Menschen und ganz besonders kleine Menschen- also Kinder- lieben und achten soll aber niemals schlagen darf, dass man das Amt deshalb besser mit einem Tannenzweig als mit einer Rute ausübt, darf er eine Prüfung ablegen. Diese besteht darin, dass er mit all seiner erworbenen Würde den Polarkreis überschreitet. Natürlich weiß jeder, dass das sehr gefährlich ist, weil es plötzlich noch viel kälter wird und man sich etwas abfrieren könnte. Auf meinem Schreibtisch liegt die bestätigte Kopie einer Urkunde über die schadlos bestandene Polarkreisüberquerung Hartmut Kirchhoffs vom 05.06.1993 in zweifacher Ausführung.
Ich bin sicher, dass es nicht überall einen Weihnachtsmann gibt, aber in Luppenau haben wir einen. Er wir wiederkommen, weil er sich an den Augen der faszinierten Kinder freut. Ich habe mich überzeugt, und ein Seemann garnt immer die Wahrheit! Wenn Sie noch Zweifel haben, sehen Sie bitte mal nach: www.luppenau.de !
Im Auftrag des Weihnachtsmanns.
Ilja Bakkal